Becken­boden­verletz­ungen durch spon­tane Geburt?

Ein neugeborenes Baby liegt im Arm seiner Mutter

Darum geht's

Es stimmt, dass eine spontane, also vaginale Geburt der größte Risikofaktor für Beckenbodenverletzungen ist. Die Studienlage dazu ist jedoch leider noch nicht sehr aussagekräftig.

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Schwangerschaft und Geburt sind krasse Erfahrungen. Jede Frau, die das schon mal bewältigt hat, weiß das. Muskulatur, Bindegewebe und Bänder verändern sich. Und bei einer spontanen Geburt wird der gesamte Beckenboden deutlich überdehnt. Und ja, Verletzungen kommen vor. In diesem Teil meiner Recherche zum Thema „Beckenboden und Geburt“ schaue ich genauer hin und will ehrlich zu dir sein – mache dir aber auch Mut. Denn der weibliche Körper KANN gebären. Und sich nach einer Geburt von möglichen Verletzungen erholen.

Den ersten Teil der Reihe, indem ich dich über Beckenbodensymptome nach der Geburt aufkläre, findest du hier.

Ich möchte direkt zu Beginn dieses Textes ganz ehrlich zu dir sein: es gibt in der Tat Beckenbodenverletzungen, die nie wieder ausheilen. Dazu gehört z.B. die Levator Avulsion. Das ist ein Abriss der tiefliegenden Beckenbodenmuskulatur (des „musculus levator ani“). Durch die Kräfte, die bei einer vaginalen Geburt auf den Beckenboden einwirken, kann der Levator-Muskel in manchen Fällen tatsächlich abreißen. Meist geschieht der Abriss vorne am Schambein und einseitig.

Ein Levator-Abriss macht sich in der Symptomatik oft durch eine deutlich wahrzunehmende Organsenkung bemerkbar. Du musst an dieser Stelle also keine Angst haben, dass du bestimmt so einen Abriss haben könntest, wenn du jetzt die folgenden Zahlen liest, die durchaus das Potential haben, zu alarmieren. Solange du keine schlimmen Symptome hast, mach dir erst mal keinen Kopf!

Die Zahlen alarmieren erst mal

Wenn man googelt, liest man häufig, dass ein Abriss des Levator Ani bei bis zu einem Drittel aller Spontangebärenden auftreten soll. Mich erstaunen solche Zahlen immer enorm und ich frage mich, ob das Problem mal wieder ist, dass bisher nur kleine Studien durchgeführt wurden, die dann entsprechend wenig repräsentativ sind. Eine Auswertung diverser unterschiedlicher Studien aus 17 Ländern, bestehend aus insgesamt rund 5.500 untersuchten Frauen, kommt immer noch zu einer Rate von 15%. Das heißt, dass 15% der Frauen dieser Studie, die ihre Babys spontan geboren haben, einen Abriss des Levator Ani erlitten haben sollen.

Aber auch bei solchen Studien weiß ich nicht: Wie alt waren diese Frauen? Waren sie allesamt Erstgebärende? Wie war der Zustand ihres Beckenbodens vor der betreffenden Geburt? Wie sah ihr normaler Alltag aus (viel Bewegung vs. viel Schreibtischarbeit usw.)? Und vor allem: auf welche Art und Weise, in welcher Position, mit welcher Begleitung und welchen Interventionen haben sie ihre Kinder geboren?

Ich möchte dich deswegen darum bitten, solche Studienergebnisse mit Vorsicht zu genießen und sie erst mal nicht auf dich zu beziehen. Im weiteren Verlauf meiner Recherche werde ich dir andere Anhaltspunkte an die Hand geben, mit denen du dein individuelles Risiko für Geburtsverletzungen besser einschätzen kannst, als anhand von Studienergebnissen.

Interventionen erhöhen das Risiko für Verletzungen

Warum ich die Zahlen der Studien für den Moment trotzdem sehr wertvoll finde, ist: man kann an ihnen sehr gut den Geburtsmodus als Risikofaktor ablesen. Insbesondere für unheilbare Beckenbodenverletzungen wie den Abriss des tiefen Beckenbodenmuskels gilt nämlich: Saugglocken- und Zangengeburten erhöhen das Risiko enorm (auf 21% bzw. 52%!)

Hier haben wir also schon einen deutlichen Hinweis darauf, dass wir es durchaus in einem bestimmten Rahmen beeinflussen können, welchem Risiko wir unseren Beckenboden unter einer Geburt aussetzen. Natürlich lässt sich nicht jede geburtshilfliche Intervention vermeiden. Dennoch bin ich überzeugt: je aufgeklärter eine Frau in die Geburt hineingeht, desto größer sind ihre Chancen, verletzungsfrei (oder mit weniger schlimmen Verletzungen) aus ihr herauszukommen.

Auch Dammrisse sind Beckenbodenbodenverletzungen

Neben dem gefürchteten Levator-Abriss kommen ja auch noch andere Verletzungen vor, die zwar meist ausheilen, die aber doch langwierig und unangenehm sein können. Den meisten Frauen ein Begriff sind Dammrisse, die nach Schweregrad von 1 bis 4 eingeordnet werden. Die allermeisten Dammrisse, die unter einer Geburt vorkommen, sind oberflächlich (Grad 1 oder 2) und heilen gut aus. Dammrisse 3. Grades kommen nur in 1,5% der Fälle vor, Dammrisse 4. Grades sind wirklich sehr sehr selten (0,1% der Fälle). Die beiden letzteren Grade betreffen dann aber leider den Schließmuskel und müssen unbedingt chirurgisch versorgt werden.

Ein Dammriss, der den Schließmuskel betrifft, hat natürlich auch direkte Auswirkungen auf den Beckenboden – der Schließmuskel ist schließlich in den Beckenboden eingebettet. Aber auch Dammrisse 1. und 2. Grades können sich auf die gesamte Beckenbodenfunktion auswirken. Am Damm laufen nämlich alle drei Beckenbodenschichten zusammen! Entsprechend ist auch ein bewusst gesetzter Dammschnitt immer ein Eingriff in den Beckenboden.

Sogar ein Kaiserschnitt hat Einfluss auf den Beckenboden

Und auch ein Kaiserschnitt hat – entgegen der landläufigen Meinung – einen Einfluss auf den Beckenboden. Denn das Durchtrennen der tiefen Bauchmuskulatur schwächt die Körpermitte und trennt auch einen Teil der Verbindung zum muskulären und faszialen Gewebe des Beckenbodens. Heilung und Aufbau der Muskulatur sowie der Nervenbahnen kann nach einem Kaiserschnitt durchaus dauern. Deswegen ist Rückbildungstraining auch hier so wichtig!

Halten wir also fest: Eine spontane Geburt ist sicherlich ein Risiko für eine Beckenbodenverletzung. Die häufigsten Verletzungen wie Dammrisse 1. und 2. Grades heilen aber gut aus. Gravierendere Verletzungen können ebenfalls auftreten – gerade hier hilft es vorab, die Risikofaktoren gut zu kennen. Und die schauen wir uns im nächsten Teil meiner Recherche an!

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4 Antworten

  1. Ich hab leider einen Damriss 4. Grades. Bin schon 6x daran operiert worden und ist noch kein Ende in Sicht. Mein Schließmuskel ist immer noch um 45 Grad offen. Die nächste OP wäre ein künstlicher Schließmuskel. Da die OP nicht einfach ist und die Erfolgsaussichten so naja sind, weiß auch nicht so wirklich was ich tun soll. Ich finde, die Frauen sollten viel mehr über den Damriss aufgeklärt werden. Liebe Grüße

    1. Liebe Anita, das tut mir sehr leid. Danke für deinen Kommentar, ich finde auch solche Berichte wichtig. Ich hoffe, dass die Ärztinnen und Ärzte dir gut helfen können und dass die OP deine Situation doch etwas verbessert! Ich stimme dir absolut zu: über Damm- und Beckenbodenverletzungen sollte viel mehr aufgeklärt werden. Ich denke, es wird oft unter „ist schon nicht so schlimm“ verbucht, weil die allermeisten Dammrisse ja tatsächlich eher oberflächlich sind und gut heilen. Ein Dammriss 4. Grades, wie du ihn erlitten hast, kommt statistisch nur in 0,1 Prozent aller Fälle vor, ist also wirklich sehr sehr selten. Hast du eine Vermutung, warum du so stark gerissen bist? War die Geburt sehr schwierig? Die Geburtshilfe ist aus meiner Sicht oft ein Mitverursacher schlimmer Verletzungen. Aber das muss bei dir natürlich nicht so gewesen sein, ich schreibe das vor allem für die Leserinnen dieser Kommentare. Ich wünsche dir alles Gute und dass dir medizinisch geholfen werden kann!

  2. Ich hatte einen dokumentierten Dammriss 2. Grades. Seit der Geburt Schweregefühl und Schmerzen. Ansage war immer, ganz normal nach Vaginalgeburt, so wie vorher wird’s nie wieder, auch wenn man das den Frauen versucht, zu verklickern. Stellte sich Jahre später heraus, es war ein DR3 und eine partielle Avulsion. Ich frage mich, wie man auf 1,5 % DR3 kommt und dann andere Studien herausfinden, dass bis zu 35 % okkulte Verletzungen entstehen. Diese fließen ja (so wie bei mir) gar nicht in die Statistik ein, dabei gibt es viele Betroffene. Ich persönlich habe keine einzige Bekannte ohne Beckenbodenprobleme nach Vaginalgeburt, und sei es „nur“ bleibende Inkontinenz. Die (nicht vorhandene) Aufklärung und Nachsorge ist wirklich zum Verzweifeln.

    1. Liebe Chris, danke für deinen Kommentar. Ich kenne mittlerweile so viele Geschichten, die ähnlich sind wie deine. Die Versorgung von Frauen rund um die Geburt und danach ist leider eine Katastrophe. Sehr viele Frauen mit ernsthaften Verletzungen werden leider zunächst nicht ernst genommen und müssen dann erst mal durch die Mühle, zu unterschiedlichen Fachärzt*innen bis sie endlich eine Diagnose und passende Behandlung kommen. Das muss sich dringend ändern. Für mich ist das auch ein feministisches Thema.

      Es kann tatsächlich sein, dass sich das auch in der Statistik zeigen würden, wenn die Falschdiagnosen korrigiert würden. Wie sehr, das kann ich nicht einschätzen. Ich warne nur immer vor anekdotischer Evidenz, weil die wirklich Zufall sein kann und dann wird aus einer gefühlten Wahrheit schnell eine Wahrheit, aber eine falsche. Ich z.B. habe in meinem Umfeld keine einzige Frau mir schweren Verletzungen oder ernsten Beckenbodenproblemen nach Geburt – und die allermeisten meiner Freundinnen und Bekannten haben Kinder (spontan) geboren. Trotzdem lässt mich diese persönliche Erfahrung nicht schlussfolgern, dass es also doch nicht so schlimm sein kann. Das nur als kleine Anregung zur Einordnung deiner Erfahrungen.

      Liebe Grüße an dich und alles Gute!

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