Ich will euch hier in unregelmäßigen Abständen immer mal Bücher vorstellen, die ich in letzter Zeit gelesen haben und die thematisch ins Thema Yoga und/oder Beckenboden passen. Los geht’s mit „The Science of Yoga“, einem populärwissenschaftlichen Werk des Wissenschaftsjournalisten William J. Broad.
Direkt zu Beginn muss ich sagen, dass ich ziemlich enttäuscht von der Lektüre war. Nicht unbedingt aufgrund der Inhalte (dazu später mehr), sondern wegen der Form. Das Buch liest sich nämlich leider nicht sehr flüssig. Ein Grund ist wahrscheinlich die deutsche Übersetzung, die ich ziemlich mangelhaft einschätze. Andererseits tut mir die Übersetzerin auch leid, weil Kollege Broad sich ziemlich in Schachtelsätzen und unnötigen Wiederholungen gefällt.
Das Buch ist also überhaupt nicht so, wie ich mir Pop-Wissenschaft eigentlich wünsche: einfach verständlich, mitunter unterhaltsam und zum entspannten „Weglesen“. Mitunter muss die Leserin sich also ziemlich konzentrieren, um den ausschweifenden Erläuterungen des Autors folgen zu können. Soweit, so schade. Schön wäre es also nun, wenn zumindest der Inhalt überzeugen könnte. Und das kann er meiner Meinung nach leider nur teilweise.
Der Skandal: Broady deckt schwere Schäden auf, die durch Yoga entstehen
Das Buch wurde nach seiner Erstveröffentlichung 2012 enorm angegriffen und seine Inhalte sehr hoch gekocht. Der Grund: Broad geht in einem Kapitel sehr ausführlich auf schwere körperliche Schäden ein, die Yoga seinen Recherchen nach verursachen kann. Dazu gehören schwere Verletzungen der Wirbelsäule bis hin zu tödlichen Schlaganfällen. In der Yogaszene kam es gar nicht gut an, dass jemand hier den Finger derart in die Wunde legt und deutlich sagt: Yoga kann gefährlich sein, wenn es unsachgemäß praktiziert wird.
Ich habe mit diesen Aussagen überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil. Ich finde es sehr wichtig, dass Yoga, gerade da es immer verbreiteter und zum Mainstream wird, kritisch hinterfragt wird. Nicht alle Übungen sind für alle Menschen geeignet! Durch meinen Fokus auf den Beckenboden weiß ich das besonders gut. In meiner Arbeit schaue ich stets sehr sensibel und aufmerksam darauf, welche meiner Schülerinnen mit welchen körperlichen Problemen oder Verletzungen welche Übungen in welcher Variante machen können.
Ja, Yoga ist grundsätzlich gesund und für alle da! Aber nur unter guter Anleitung und so, dass die Praxis zu den eigenen Bedürfnissen – und auch zu den eigenen körperlichen Herausforderungen – passt. Die Recherchen von Broad zu diesem Thema finde ich wichtig, bemerkte aber beim Lesen, dass sie mir teilweise doch noch zu sehr an der Oberfläche kratzen und dann doch dramatisierend wirken. Es gibt zum Beispiel keine Vergleiche zu anderen Sportarten, das Risiko für wirklich schwere Verletzungen wird nicht zufriedenstellend eingeordnet.
Der Boy’s Club des Autors
Was mich an dem Buch aber viel mehr gestört hat, ist eine gewisse Inkonsequenz, die ich an mehreren Stellen herausgelesen habe. Da kritisiert der Autor erst eine bestimmte Praktik des Yoga, um am Ende doch zu erwähnen, dass Yogalehrer xy, der außerdem ein guter Freund von ihm sei, das alles ja total toll unterrichten würde und dass es am Ende ja doch alles nicht so schlimm sei. In meinem Kopf meldete sich da nur ein Wort: Boy’s Club. Da will es sich einer wohl nicht mit seinen Buddies verscherzen.
Irgendwie wird Yoga also kritisiert (Verletzungsrisiko, Guru-Gedöns, gesundheitliche Versprechen können nicht gehalten werden usw.), an anderen Stellen dann wieder über den grünen Klee gelobt (psychische Gesundheit, Atemübungen, Förderung der Kreativität usw.). Und am Ende fragt man sich: ja, und nun? Einen wirklich sinnvollen Schlussteil, der alle Inhalte noch mal einordnen würde, gibt es leider nicht.
Modernes Yoga oder traditionelles Yoga – was denn nun?
Was ich außerdem sehr an dem Buch kritisiere, ist, dass der Autor den Fokus stark auf moderne Yoga-Trends setzt. Das ist einerseits verständlich, weil es ihm ja vor allem darum geht, vor Yoga als Mainstream (und unsachgemäß praktiziert) zu warnen. Auf der anderen Seite fehlt mir die Einordnung in die Yoga-Geschichte völlig.
Der Autor kritisiert zum Beispiel auf seeeehhhhr vielen Seiten und mit seeehhhr vielen Worten die Sachlage, dass Yoga in der aktuellen Zeit oft auch als Kardio-Training und zur Fettverbrennung empfohlen wird. Studien zeigten hingegen, dass sich Yoga dafür gar nicht eignet. Im Gegenteil können geübte Yogis durch die Verlangsamung des Atems und des Herzschlags ihren Stoffwechsel sogar reduzieren.
Als Yogalehrerin, die (zumindest im Ansatz) mit den alten Yogaschriften vertraut ist, denke ich da: Naja, historisch gesehen war Yoga ja auch nie als Fitnesstraining gedacht. Hast du deine Hausaufgaben nicht gemacht, Kollege Broad? Oder hast du mal wieder nur versäumt, eine richtige Einordnung vorzunehmen? Denn ein Richtigstellen der Faktenlage wäre hier so leicht: Yoga als traditionelle und jahrtausendealte Praxis wollte nie Sport sein! Im Kern geht es im Yoga darum, eine innere Ruhe zu finden. Es geht um Meditation und das Beherrschen der eigenen Innenwelt. Und nicht um das Verbrennen von Kalorien oder artistische Verrenkungen.
Die historische Einordnung gelingt dem Autor leider gar nicht
Dem Autor verschwimmen in seinem Buch also immer wieder wichtige Dinge: kritisiert er gerade Yoga-Trends und neue Fitness-Strömungen? Oder stellt er sich mit seinen Argumenten gegen Yoga als uralte Praxis an sich? Schließlich erzählt er auch Geschichten lange verstorbener Gurus und hat anscheinend schon den Anspruch, seine Kritik in die Jahrhunderte einzuordnen. Das gelingt ihm in meinen Augen jedoch so gar nicht.
Fazit: nur für Yoga-Freaks mit viel Zeit zum Lesen
Mein Fazit also: Wenn ihr wirklich viel Interesse an Yoga und viel freie Zeit habt und interessiert an Studienergebnissen seid, könnt ihr es mal mit der Lektüre versuchen. Ansonsten rate ich euch, das Geld lieber in guten Yoga-Unterricht zu investieren. Denn damit seid ihr immer auf der sicheren Seite, sagt sogar William J. Broad.