„Es ist nicht egal, wie wir geboren werden“ – ist dir dieser Satz schon mal begegnet? Ich möchte ihn heute etwas ändern in: „Es ist auch nicht egal, wie wir gebären“! Denn die Umstände, unter denen wir unsere Kinder bekommen, wirken auch auf unseren Beckenboden.
Das Thema Geburten und Geburtshilfe ist mir gerade sehr präsent, weil ich letztes Wochenende auf einer sehr wichtigen kleinen Ausstellung der Elterninitiative Mother Hood e.V. war. Unter dem Titel „Blackbox Geburt“ erzählt die Ausstellung die Geschichten von Eltern, die während der Corona-Pandemie Kinder in deutschen Kliniken zur Welt gebracht haben. Und diese Geschichten sind oft alles andere als schön!
Die Geburtshilfe in Deutschland hat ohnehin ein Problem: notorisch unterfinanziert bleibt sie weit hinter den Richtlinien der WHO zurück. In deutschen Kreißsälen werden Frauen leider viel zu oft mehr schlecht als recht betreut. Ich könnte darüber jetzt Romane schreiben, aber das würde hier den Rahmen sprengen. Wenn du Lust hast, kannst du dich auf der Mother Hood Website selbst über die Missstände informieren.
Mir geht es in diesem Text viel mehr darum, dir Mut zu machen. Denn ja, Schwangerschaften und Geburten haben definitiv eine Wirkung auf den Beckenboden. Einige Risikofaktoren kann man jedoch sehr gut selbst beeinflussen oder sogar ausschließen.
Lass uns zu Beginn aber erst mal schauen, inwiefern der Beckenboden von Schwangerschaften und Geburten belastet wird. Denn schon da gibt es diverse Symptome, die nicht alle gleich schlimm sind – und schon gar nicht zum Fürchten!
Welche gravierenden Beckenbodenprobleme können nach einer Geburt auftreten?
Viele Frauen haben nach einer Geburt eindeutige Symptome, die durch die Überlastung der Beckenbodenmuskulatur sowie des Bindegewebes und der Bänder zustande kommen. Eindeutige Beckenbodensymptome, die man z.B. in der Fachliteratur findet, sind:
- Harninkontinenz – d.h. du verlierst womöglich unbeabsichtigt Urin.
- Stuhlinkontinenz – ist oft ein Tabu und keiner spricht gern drüber. Kommt aber gar nicht mal so selten vor. Eine leichtere Form ist z.B. auch, dass man nicht gut einhalten kann, wenn man dringend muss. Diese Form kennen bestimmt viele Frauen kurz nach einer Geburt (ich auch!).
- Organsenkung – d.h. ein Organ deines Unterleibs rutscht etwas tiefer als es eigentlich sollte. Das kann z.B. die Blase oder die Gebärmutter betreffen.
- Schmerzen im Beckenboden – das kann ein muskelkaterähnliches Gefühl sein, dass bei Überlastung auftritt, aber z.B. auch ein „Vaginismus“ beim oder nach dem Sex, also ein Verkrampfen der Muskulatur, das zu starken Schmerzen führen kann.
Welche leichteren Symptome können außerdem auftreten?
Die oben beschriebenen Symptome sind jene, die man wirklich nicht ignorieren kann, weil sie je nach Härtegrad wirklich belastend sein und den Alltag ziemlich beeinträchtigen können. Darüber hinaus möchte ich aber noch ein paar weitere Symptome ergänzen, die weniger schwerwiegend sind, die aber trotzdem beachtet werden sollten. Denn ignoriert man sie zu lange, können sie in späteren Jahren vielleicht doch zu den oben beschriebenen gravierenderen Symptomen werden.
- Leichte Schmerzen im Beckenboden – s.o., aber in weniger gravierend. Schon ein leichtes Ziehen im Beckenboden kann ein Hinweis sein, dass wir uns gerade überlasten. Insbesondere nach einer Geburt sollte ein solches Symptom ernst genommen werden!
- Gefühl von Offenheit – nach einer Geburt fühlt es sich oft erstmal so an, als könnten alle Organe unten aus einem herauspurzeln. Keine Sorge: das passiert nicht! Aber das Gefühl ist sehr unangenehm und gibt sich oft erst langsam mit Zeit und Rückbildung. Hält dieses Gefühl an oder kommt in (un)regelmäßigen Abständen wieder, sollte man sich dem Problem definitiv zuwenden.
- Gefühl von Schwere – auch ohne eine diagnostizierte Organsenkung kann dieses Gefühl vorkommen. Dein Beckenboden fühlt sich dabei belastet an, evtl. hast du auch das Gefühl als hättest du einen Fremdkörper in der Vagina.
- Gefühl von Instabilität – während einer Schwangerschaft schwindet Muskulatur, speziell die Rumpfmuskulatur an Bauch und Rücken („Core“). Diese ist extrem wichtig für eine gesunde Körperhaltung und einen funktionierenden Beckenboden. Ein Gefühl von weniger Stabilität im Körper oder weniger Muskelkraft ist ein Zeichen für zu wenig Core-Kraft und sollte ernst genommen werden.
- Drang-Inkontinenz – es geht zwar nichts in die Hose, aber du achtest sehr darauf, dass eine Toilette möglichst immer in Reichweite ist, weil du schnell gehen musst, wenn du muss. Das nervt ja trotzdem und kann mit Übung und Training verbessert werden.
- Belastungs-Inkontinenz – beim Husten, Niesen, Lachen, Springen oder Heben hast du Schwierigkeiten, den Urin zurückzuhalten. Evtl. gehen sogar ein paar Tröpfchen in die Hose.
- Nachtröpfeln – nachdem du auf dem Klo warst, gehen doch immer noch ein paar Tröpfchen in die Hose. Das ist nicht dramatisch, kann aber ein Vorzeichen für eine spätere Inkontinenz sein.
- „Pipi-Problem“ – du hast das Gefühl, deine Blase nicht schnell oder nicht vollständig entleeren zu können. (Mehr zu diesem speziellen Symptom liest du in diesem Artikel!)
- Rückenschmerzen – der Beckenboden ist gut vernetzt und hält wichtige Verbindungen zur gesamten Rumpfmuskulatur. Scheinbar „grundlose“ Rückenschmerzen gehen gar nicht mal so selten auf einen Beckenboden zurück, der nicht in seiner natürlichen Balance ist.
Angst vor der Geburt?
Sollten diese ganzen gemeinen Symptome dir jetzt Angst vor einer (natürlichen) Geburt machen oder sogar die Freude auf ein Baby verderben? Auf keinen Fall! Die meisten dieser Symptome treten temporär auf und werden mit Zeit (natürliche Rückbildung des Körpers innerhalb des ersten Jahres nach einer Geburt) und Übung (am besten natürlich mit Beckenbodenyoga 😉 ) weniger, bis sie hoffentlich bald ganz verschwinden.
Hinzu kommt: wenn du die Risikofaktoren kennst, die solche Symptome aufgrund von Beckenbodenverletzungen wahrscheinlicher machen, kannst du dich umso besser auf die Geburt vorbereiten. Um diese Risikofaktoren wird es im nächsten Text gehen!
Kaiserschnitt und alles ist gut?
Zum Schluss möchte ich aber noch mit einem weiterverbreiteten Mythos aufräumen, der besagt: Kaiserschnitt und wir haben den ganzen Schlamassel nicht. Leider (oder eher zum Glück, denn auch ein Kaiserschnitt birgt Risiken) ist es so einfach dann doch nicht. Zwar stimmt es wohl, dass kurz nach einer Geburt die Symptome bei Frauen, die spontan (vaginal) entbunden haben, deutlicher ausfallen als bei Frauen, die per Kaiserschnitt geboren haben. Schaut man sich aber längere Zeiträume an, verändert sich das Bild.
In Studien konnte man sehen, dass 15 Jahre nach einer Kaiserschnittgeburt auch jene Frauen über eine Belastungsinkontinenz (17,5 %) oder über eine hyperaktive Blase (14,6 %) klagten. Auch Organsenkungen kommen bei Kaiserschnittmüttern vor (9 %).* Ich möchte nicht verheimlichen, dass die Zahlen bei Frauen, die natürlich geboren haben, teils etwa doppelt so hoch sind. Trotzdem zeigt die Studienlage, dass ein Kaiserschnitt nicht alle Probleme löst. Der Grund ist, dass sich Muskulatur, Bindegewebe und Bänder schon in der Schwangerschaft verändern. Hier hat der Geburtsmodus also nur bedingt einen Einfluss.
*Blomquist JL, Munoz A, Carroll M, Handa VL (2018) Association of delivery mode with pelvic floor dis- orders after childbirth. JAMA 320(23):2438–2447
Keine Angst vor der Geburt!
Halten wir also fest: keine Angst vor der Geburt! Definitiv sind Schwangerschaft und Geburt traumatische Ereignisse für den Beckenboden. Aber der weibliche Körper ist dafür ausgelegt, diese Traumata zu verarbeiten. Und mit etwas Wissen und nach der Geburt dann auch der richtigen Praxis können wir viel tun, um gravierende Symptome zu verhindern oder – sind sie einmal da – zu mildern und zu heilen.
In den nächsten Teil schaue ich mir deshalb an, welche Verletzungen überhaupt vorkommen und mit welchen Risikofaktoren sie zusammenhängen. Denn wenn du deine Risikofakoren kennst, kannst du auch einschätzen, ob du sie vermeiden kannst!
Hier geht es zum zweiten Teil der Reihe „Beckenboden und Geburt“: